Schachtelsätze sind wie Matrjoschkas.
Kennst du diese russischen Holzpuppen?
Öffnest du so eine bunte Puppe, befindet sich darin eine weitere Puppe. Und eine weitere, und eine weitere, und eine weitere. Bis du bei der kleinsten angekommen bist. Ziemlich spannend so ein zerlegbares Spielzeug.
Übertragen wir das jedoch auf Texte und damit auf Schachtelsätze, hört der Spaß ziemlich schnell auf: Das sind diese langen, in sich verschachtelten Sätze, die mit Einschüben und Nebensätzen glänzen.
Fach-Nerds sprechen hier von einer Hypotaxe und Laien von einem Bandwurmsatz.
Und das finden deine Leser*innen alles andere als spannend. Die wollen sofort wissen: Was gibt’s hier für mich?
Schachtelsätze sind das Gegenteil von Klarheit
„Die Sprache der Wahrheit ist einfach.“
– Euripides
Stell dir vor, wie deine Leser*innen in der Suchmaschine nach einer Lösung für ihr Problem suchen. Und dann finden sie eine Antwort, verpackt in labyrinthische Schachtelsätze, aus denen sie erst einmal wieder herausfinden müssen. Puh!
Leser*innen wollen online keinen elaborierten Roman von Thomas Mann lesen. Die Lese-Intention ist hier eine ganz andere. Das gilt insbesondere für längere Blogbeiträge wie diesen hier. Das Lesen am Bildschirm strengt an.
Und je länger und komplizierter der Schachtelsatz, desto mehr muss ich als Leserin nachdenken – und bin wieder weg.
In diesem Beitrag zeige ich dir, wie du Schachtelsätze entwirrst und deine Kernbotschaft leicht verständlich zum Ausdruck bringst. So gewinnst du Klarheit für dich UND deine Leser*innen.
So viele Wörter sollte ein Satz haben
Sätze sollten in etwa 15–20 Wörter enthalten, damit sie dein Kurzzeitgedächtnis verarbeiten kann.
Die Deutsche Presse-Agentur empfiehlt ihren Journalist*innen eine Satzlänge von maximal 20 Wörtern. Hier mal eine kleine Übersicht aus „Deutsch für Kenner“ von Wolf Schneider:
Wörter pro Satz | Aus wie vielen Wörtern ein Satz bestehen soll |
10–15 |
Empfohlene durchschnittliche Satzlänge laut Wilfried Seibicke, Stil-Lehrer |
12 |
Durchschnittliche Satzlänge in der BILD-Zeitung |
17 |
Durchschnittliche Satzlänge im Johannes-Evangelium und |
18 |
Obergrenze der Leichtverständlichkeit nach Ludwig Reiners, Stil-Lehrer, und durchschnittliche Satzlänge in der Westdeutschen Allgemeinen |
20 |
Obergrenze des Erwünschten bei dpa |
30 |
Obergrenze des Erlaubten bei dpa |
31 |
Durchschnittliche Satzlänge von Thomas Manns Doktor Faustus |
Beispiel für einen Schachtelsatz
Lass diesen Schachtelsatz von mir einmal in aller Ruhe auf dich wirken. Und ja, ich habe natürlich ein wenig übertrieben. Am besten liest du ihn laut vor und zwar in einem Atemzug. :p
Das hier ist ein Schachtelsatz, also ein in sich verschachtelter Satz mit Einschüben und Nebensätzen, der aber online nicht gut funktioniert, weil unsere Aufmerksamkeitsspanne, die mittlerweile unter der eines Goldfisches liegt, einfach zu kurz ist und wir mit unseren Augen von einer Information zur nächsten schwirren, wie eine Biene, die auf der Suche nach Nektar ist, und deswegen – so hinreißend melodisch ein langer Satz auch sein kann – sollte ein Schachtelsatz, so weit es möglich ist, in leserliche Nektar-Häppchen aufgebrochen werden, damit der Inhalt, den du so gerne vermitteln möchtest, für deine Leser*innen nicht verloren geht, weil deine Leser*innen mit jedem weiteren Nebensatz, den du an den nächsten reihst, bereits den Anfang des Satzes vergessen haben, oder kannst du mir sagen, wovon ich hier, wenn auch in einen relativ einfachen Schachtelsatz verpackt, zu Beginn gesprochen habe?
Lass mich raten: Du musst erst einmal überlegen. Vielleicht schwirrt dir ein wenig der Kopf. Und zwar nicht, weil die Bienchen so entspannt durch die Gegend fliegen.
Nein, stattdessen liegst du bei völliger Dunkelheit in deinem Bett und eine Mücke hält dich surrend-kriegerisch von deinem Schönheitsschlaf ab.
Nur damit du mal eine Vorstellung davon bekommst, wie Schachtelsätze auf deine Leser*innen wirken.
3 Regeln, um Schachtelsätze aufzulösen
1. Stück für Stück auseinanderpflücken
Nehmen wir meinen Beispielsatz. Den breche ich jetzt in Stichworte herunter. Ich verwende der Übersicht halber nur die Hälfte des Satzes.
Für jeden Gedanken gibt es einen eigenen Stichpunkt. Überflüssiges streiche ich durch, das heißt Aussagen, die keinen Mehrwert für meine Leser*innen haben.
Hier noch einmal der Satz, damit du den Vergleich besser sehen kannst:
Das hier ist ein Schachtelsatz, also ein in sich verschachtelter Satz mit Einschüben und Nebensätzen, der aber online nicht gut funktioniert, weil unsere Aufmerksamkeitsspanne, die mittlerweile unter der eines Goldfisches liegt, einfach zu kurz ist und wir mit unseren Augen von einer Information zur nächsten schwirren, wie eine Biene, die auf der Suche nach Nektar ist, und deswegen – so hinreißend melodisch ein langer Satz auch sein kann – sollte ein Schachtelsatz, so weit es möglich ist, in leserliche Nektar-Häppchen aufgebrochen werden, damit der Inhalt, den du so gerne vermitteln möchtest, für deine Leser*innen nicht verloren geht.
Und jetzt in Stichworten aufgeschlüsselt:
- Das hier ist ein Schachtelsatz, also ein in sich verschachtelter Satz mit Einschüben und Nebensätzen
- der aber online nicht gut funktioniert
- (1.) weil unsere Aufmerksamkeitsspanne einfach zu kurz ist, die mittlerweile unter der eines Goldfisches liegt
- (2.) und wir mit unseren Augen von einer Information zur nächsten schwirren, wie eine Biene, die auf der Suche nach Nektar ist
- und deswegen sollte ein Schachtelsatz, so weit es möglich ist, in leserliche Nektar-Häppchen aufgebrochen werden
- so hinreißend melodisch ein langer Satz auch sein kann
- damit der Inhalt, den du so gerne vermitteln möchtest, für deine Leser*innen nicht verloren geht
2. Was ist das Thema? Was sind die Kerngedanken?
Fassen wir jetzt noch einmal zusammen, was ich mit diesem Satz wirklich sagen möchte. Das Thema ist hier ganz klar der Schachtelsatz. Deswegen fängt jetzt jeder Satz mit dem Subjekt an. Wenn du mehrere Subjekte hast, dann mach mehrere Stichwort-Listen.
- Ein Schachtelsatz ist ein in sich verschachtelter Satz mit Einschüben und Nebensätzen
- Ein Schachtelsatz funktioniert online nicht gut. Und das hat 2 Gründe:
1. Unsere Aufmerksamkeitsspanne liegt mittlerweile unter der eines Goldfisches
2. Wir schwirren von einer Information zur nächsten, wie eine Biene auf der Suche nach Nektar - Ein Schachtelsatz sollte deswegen in leserliche Nektar-Häppchen aufgebrochen werden, damit der Inhalt für deine Leser*innen nicht verloren geht
Du siehst, dass die Inhalte bereits logisch angeordnet sind: Ich erzähle zuerst, was ein Schachtelsatz ist. Dann erkläre ich, warum der online so problematisch ist. Hier mache ich direkt eine Aufzählung von 2 Gründen (im Schachtelsatz oben durch das „und“ zu erkennen). Und der dritte Punkt gibt bereits eine Lösung für das Problem: Wie du den Schachtelsatz auflöst.
3. Neu schreiben
Jeden Stichpunkt verwandeln wir jetzt in einen eigenen Satz. Damit dein Text melodisch bleibt: Bring Varianz in deine Satzanfänge.
(Denk dir beim Lesen die Bullet Points weg. Die stehen hier nur, damit du sie mit den Versionen von oben besser vergleichen kannst.)
- Ein Schachtelsatz ist ein in sich verschachtelter Satz mit Einschüben und Nebensätzen.
- Online funktioniert solch ein Satz nicht gut. Und das hat 2 Gründe: (zugegeben das sind zwei Sätze, weil ich’s so schöner finde)
- 1. Unsere Aufmerksamkeitsspanne liegt mittlerweile unter der eines Goldfisches
- 2. Wir schwirren von einer Information zur nächsten, wie eine Biene auf der Suche nach Nektar (dieser Vergleich macht den Text lebendiger)
- Deswegen sollte ein Schachtelsatz in leserliche Nektar-Häppchen aufgebrochen werden, damit der Inhalt für deine Leser*innen nicht verloren geht. (Oder positiv formuliert: Damit deine Leser*innen den Inhalt ganz leicht und sofort erfassen können)
Klingt alles sehr logisch und verständlich, oder?

Bonus-Tipp
Achte darauf, dass du Nominalstil vermeidest. Das verkompliziert deinen Satz und macht ihn weniger geschmeidig. Ein Kundin von mir schrieb neulich diesen Satz:
„Du versuchst einem Ideal zu entsprechen, aber statt der erhofften Erfüllung sind Erschöpfung und Enttäuschung eingetreten.“
Du erkennst den Nominalstil an Endungen mit -keit, -heit und -ung.
Meine Version ganz kurz auf den Punkt gebracht:
„Du versuchst einem Ideal zu entsprechen und brennst deswegen aus.“
Oder ausführlicher:
„Indem du versuchst einem Ideal zu entsprechen, bist du erschöpft und enttäuscht. Von Erfüllung keine Spur.“
Merkst du den Unterschied? Wenn deine Leser*innen deine Worte FÜHLEN können, hast du sie auf deiner Seite. Und das funktioniert am besten mit Verben.
Nochmal zum Vergleich: „Ich fühle mich traurig.“ versus „Ich habe ein Gefühl von Traurigkeit.“
5 Regeln, um Schachtelsätze zu vermeiden
Du weißt jetzt, wie du Schachtelsätze in Zukunft auflösen kannst. Du erkennst sie einerseits an der Länge und andererseits an den vielen Kommas, Klammern und/oder Gedankenstrichen. Hier sind noch 5 Tipps, um sie erst gar nicht zu schreiben:
1. Ein Gedanke pro Satz
Vermittle immer nur einen Gedanken pro Satz, um deine Leser*innen nicht zu überfordern.
2. Hauptsachen in Hauptsätze, Nebensachen in Nebensätze
Deine wichtigste Information gehört immer in den Hauptsatz, darauf liegt der Fokus. Der Rest wird gestrichen oder in einen leicht verdaulichen Nebensatz gepackt. Und dieser Nebensatz folgt immer NACH dem Hauptsatz, nicht dazwischen.
3. Was zusammengehört, nicht auseinanderreißen
- Zusammengesetzte Verben
Negativbeispiel: Schachtelsätze strengen deine Leser*innen, die schnelle Antworten suchen, an.
Positivbeispiel: Schachtelsätze strengen deine Leser*innen an. Denn sie suchen schnelle Antworten.
- Subjekt und Verb
Negativbeispiel: Schachtelsätze, die deine Leser*innen anstrengen, arbeiten gegen dich.
Positivbeispiel: Schachtelsätze arbeiten gegen dich, denn sie strengen Leser*innen an.
- Artikel und Substantiv
Negativbeispiel: Der einst in der Literatur so hochgelobte und von vielen geliebte Schachtelsatz ist in Verruf raten.
Positivbeispiel: Der Schachtelsatz ist in Verruf geraten. Obwohl er früher in der Literatur so beliebt gewesen ist.
4. Mach maximal 2 Kommas in einem Satz
5. Verwende maximal 20 Wörter in einem Satz
Fazit
Sollst du jetzt nie wieder längere Sätze schreiben? Doch, bitte unbedingt! Schreibst du nur kurze Sätze, wirkt das schnell abgehackt. Unterschiedliche Satzlängen machen deine Texte flüssig.
Also ja, schreib auch mal einen langen Satz, aber nicht hintereinander. Mach dazwischen immer mal einen kürzeren. Abwechslung lautet hier das Zauberwort.
Du willst deine Texte noch mehr verbessern? Dann schau dir auch gerne meine „22 + 1 schnellen Schreibtipps“ an.
3 Antworten
Hallo Miriam Risse,
danke für die Tipps, denn ich brauchte eine Erklärung für meine Schüler in Deutsch als Fremdsprache. Ich erstelle ein Handout. Sie müssen die Schachtelsätzen im Studium oder Promotion auflösen können und den Sinn verstehen.
MfG
Claudia Möller
Wie spannend! Freut mich, wenn mein Content dich dabei unterstützt.
Liebe Grüße
Miriam